Wir gedenken euer!
23.05.2012
Zu jedem Ort, zu jedem Ereignis, zu jeder Feier gibt es eine Geschichte – eine Vorgeschichte. Eine Geschichte von der Idee zum Tun und zum Jetzt-Dasein.
Diesen Ideen gehen meist Erfahrungen voraus.
Ich erzähle von meiner Erfahrung. Andere in unserem Verein haben sicher auch welche dazu. Es war im Juni 2009. Innerhalb von wenigen Wochen starben drei Menschen. Alle viel zu früh und zu plötzlich. Wir haben versucht Kontakt zu Angehörigen zu knüpfen, um den bestmöglichen Weg für den letzten Ruheplatz zu finden. Im Fall von Stefan von Nordheim wurden wir von einer guten Freundin und seiner Schwester, die nicht mit ihm aufgewachsen war, gebeten, uns um die Bestattung an seinem letzten Lebensort in Steyr zu kümmern. Wir gestalteten eine schöne Abschiedsfeier für Stefan. Dass die Beisetzung der Urne in ein sogenanntes „anonymes Sammelgrab“ stattfinden sollte, wenn niemand die Kosten und Betreuung einer Grabstätte übernähme, machte uns betroffen. Und auch die Schwester, die zwei Monate später nach Steyr kam, um Austausch zu halten über die letzte Lebenszeit ihres Bruders. Sie hatte einen Ort für einen Blumengruß für ihren Bruder erhofft. Ihre Betroffenheit hat unsere eigene bestärkt und den Wunsch, dass es einen Ort für unsere Verstorbenen geben soll. Dass sie nicht namenlos verschwinden sollen. Stefans Urne wurde vorerst aufbewahrt.
Und wir nahmen mehrmals einen Anlauf, um eine gute Lösung zu finden. Dabei stießen wir zunächst sowohl auf Verständnis und Vorstellungen, wie wir es machen könnten wie auf Bedenken und Ablehnung. Und ehrlich gesagt war es auch der eigene Zwiespalt gegenüber dem Tod: es wollen, aber auch fürchten, vielleicht auch, weil es in der eigenen Geschichte ohnehin zu viel Tote gab. Und das Leben war doch allemal wichtiger und geschäftiger. Aber die Idee und der Wunsch blieb … und nach zwei Jahren war es so weit oder ich war so weit und ich nahm mir ein Herz und bat meine Kollegin Traudi Gradauer um Unterstützung. Und ich denke, ich habe die Richtige gefragt und es ist uns beiden eine Herzensangelegenheit geworden, den Wunsch zu verwirklichen. Dabei wurden unsere Erwartungen immer wieder übertroffen und wir ganz großartig unterstützt. Es wurde kein schweres und todtrauriges Projekt, sondern ein überaus lebendiges, belebendes, verbindendes und lebenspraktisches. Es war und ist viel Lebensfreude dabei und darin.
Nachruf für Stefan
Lieber Stefan, wir haben dich vor beinahe drei Jahren verabschiedet. Als du anfingst, dein Leben neu zu ordnen und dich in deiner Wohnung einzuleben, traf uns dein plötzlicher Tod ganz unvorbereitet. Du warst ein freundlicher und feinsinniger Mensch. Und ein Suchender, der las und schrieb. Bücher, Gedichte, Briefe. Das Schöne, Wahre und Gute. Alkohol und Depression gab es auch und deine Versuche damit zu Recht zu kommen. Du warst zuversichtlich. Wir auch. Und es gab Menschen, die du mochtest und die wieder dich. Wir auch. Du warst ein leiser Mensch. Eigentlich wissen wir nicht so viel von dir. Aber verschwinden sollst du nicht, als wärst du nicht da gewesen. Darum sollst du Platz nehmen in unserer Erinnerung, in unserer Geschichte, an diesem friedvollen Ort. Du bist uns zugehörig. Aber auch anderen Menschen, denen du begegnet bist und denen du fehlst. Auch wenn sie jetzt nicht da sind, sie denken an dich und auch an uns: deine gute Freundin, Frau Ballas in Köln, Frau Guspini, deine Schwester Stefanie. Dass dieser Ort auch anderen Menschen eine letzte Ruhestätte und uns ein Gedenkort ist, ist auch dein Vermächtnis. Wir danken dir!
Wir möchten nun die Urne mit deiner Asche zur Ruhe begeben.
Wo immer du jetzt bist, es soll dir gut gehen und kein Leids geschehen. Und schau freundlich auf uns alle.
Leben und Tod und Leben
Tod hin oder her. Der Tod ist Teil des Lebens – er betrifft uns alle. Wir werden alle sterben – ich, du, andere. Das irritiert, schmerzt und veranlasst dazu, diesem Bruch, Ende, Übergang eine Bedeutung zu geben. Man kann spirituell über den Tod hinaus glauben, was sein wird, sein könnte. Man kann auch von der Instanz Tod auf das Leben schauen und es lieben und würdigen. Es gibt ein Leben vor dem Tod, sollte es geben – für alle! Ein Leben, das gut ist, wertvoll ist – voll von Werten wie Respekt, Gerechtigkeit, Gleichheit, Geschwisterlichkeit, Freiheit, Autonomie, Recht auf Bedürftigkeit, kollektive Fürsorge. Das alles hat mit Lebensgrundlagen zu tun wie Lebensmitteln und Lebensraum – Wohnraum; und mit Möglichkeiten, zu lernen, sich einzubringen und etwas zu schaffen; und mit Möglichkeiten und Zeit, sich auszutauschen und Beziehungen zu pflegen. All das zählt und sollte es uns auch die Euros, die es kostet, wert sein.
Vom Tod aus gesehen ist das Leben eine faszinierende Möglichkeit, Mensch zu sein. Mit allem, was das Mensch-Sein ausmacht: für sich und andere sorgen, sich verwirklichen, für andere da sein, sich helfen lassen, sich austauschen, miteinander etwas bewirken, kreativ sein, Fehler machen dürfen, nicht weiter wissen, nachdenken, reden, singen, lachen, feiern.
Daher wünsche ich uns allen, mit diesem Lebens-Gefühl, mit dieser Lebensfreude, mit dieser Freude am Leben hinaus zu gehen aus dem Friedhof – wir bleiben noch nicht hier, wir haben noch zu tun. Da muss noch Leben ins Leben! Auch dazu sollte der Gedenkort ein Denk-mal und Aufruf sein!
Text: Eva Eichinger